Südfrankreich – Schmetterlingseffekt
Ein Schritt in eine bestimmte Richtung und man befindet sich auf einmal auf einer langen Wanderung. Und während man Stufe, um Stufe besteigt und Stein um Stein aus dem Weg räumt, ist der Pfad gesäumt von Fragen. Was willst Du denn eigentlich? Was willst Du sein? Und wer? Und wo führt das denn überhaupt hin? Und wo soll das enden?
Dabei ist das hier vielleicht erst der Anfang. Die eine Abzweigung, die man genommen hat, um sich über die Wunder zu wundern, die einem in Begegnungen begegnen, um sich die Fragen zu fragen, für die der Kopf sonst zu kopflos ist.
Ich erinnere mich zurück. Zurück an Dokumentationen, die Zeitzeugen sind von Zeugnissen, die wir Menschen erschaffen haben. Wir Menschen, die in einer konsumorientierten, industrialisierten Gesellschaft leben. Leben, das sich am Haben-Wollen und Haben-Müssen orientiert. Und an der Schnelligkeit. Nur Erleben, was sich auf Instagram mit Hashtags verkaufen lässt.
Wir, die sich orientieren an dem Höher, an dem Weiter, an dem Besser und dabei orientierungslos auf der Massenproduktionswelle treiben. Und ich? Ich bin dabei. Mittendrin versuche ich gegen den Strom zu schwimmen bis mich die Flut wieder mitreißt, warte ich auf die Ebbe, um einen neuen Anlauf zu starten. Aber wo fange ich an? Und wo soll das enden? Dabei ist der Anfang vielleicht schon gemacht.
Und ich fange an zu denken. Denke, dass ich nicht verstehen kann, warum ich vorher kein Verständnis hatte. Und verstehe nicht, warum. Warum es so weit kommen muss, dass ich denke, geht es so weiter, geht es ums nackte Überleben. Überlebe den Gedanken kaum und gedenke all der Dinge, für die ich blind war. Und jetzt mach ich die Augen zu und muss das Ganze mal durchdenken. Augen auf und durch. Wir haben vergessen, dass unsere Ressourcen endlich sind. Dass wir endlich sind. Dass wir endlich anfangen müssen aufzuhören.
Während ich mich über mich selbst ärgere, weil ich immer noch nicht aufgehört habe zu rauchen, raucht mir der Kopf, weil ich versuche Alternativen zu finden und ärgere mich über Alternativlosigkeiten. Doch ich finde einen Ansatz und setze an bei Dingen, die sich einfach umsetzen lassen und frage mich, warum das eigentlich nicht jeder macht. Wir sind Schwierigkeiten nicht gewohnt und vielleicht liegt hier das schwerwiegende Problem. Wir wiegen uns in Sicherheit und können sicher sein, dass alles, was wir wollen, in Endlosigkeit verfügbar ist. Wir wiegen unser Obst und packen es in Plastikbeutel.
Wir beuten aus, während ich mit meinem Jutebeutel losziehe, um gegen die gebeutelte Welt zu demonstrieren. Demonstrativ nehme ich mein Fahrrad, um in Leinenbeutel und Papiersäckchen zu füllen, was ich verpackungsfrei finden kann. Hashtag Zerowaste. Das hier ist meine Rebellion. Ich rebelliere gegen Plastik und die Nahrungsmittelindustrie. Bio ist die Rettung der Rebellen. Ich rette mich selbst vor dem Ertrinken an zu viel Information. Informiere mich weiter und stelle fest, ich trete auf der Stelle. Deshalb habe ich Stell-dich-eins mit lokalen Produkten, Second-Hand-Shops und Tauschbörsen, während der DAX schwankt, schwenke ich meine selbstgezüchteten Kräuter in Olivenöl.
Und ich merke, das reicht mir nicht. Mir reicht das Wasser bis zum Hals, weil ich merke, ich will mehr. Will Meere retten, will Rettungsanker werfen, will die Welt verändern und vor allem mich. Will Gewöhnliches nicht mehr. Will Gewohnheiten über Board werfen, will runter von dem sinkenden Schiff. Will lieber mein eigenes bauen und baue dabei auf Dich. Bauen wir doch unsere eigene Welt oder eben die alte wieder auf. Aber wo fangen wir an? Und wo sollen wir enden? Dabei machen wir gerade den Anfang.
Wir packen unsere Welt in einen Rucksack und packen es an. Die Frage im Hinterkopf, ob wir das packen können. Und zusammen. Hand in Hand halten wir uns an Ungewissheiten fest und ich will, dass Du mit mir Inne hältst. Hältst Du das mit mir aus, frage ich wortlos, während wir die Leinen losmachen und Worte des Abschieds uns nachhallen, hält uns niemand mehr auf.
Wir wollen, den Horizont erweitern nicht bloß dorthin, wo die Sonne untergeht, aber darüber hinaus. Die Sonnenstrahlen auf der Haut, bauen wir zwar kein Schiff, aber einen Keller. Machen uns die Hände schmutzig, um die Gedanken reinzuwaschen. Waschen uns Dreck aus den verfilzten Haaren und Zement von der gebräunten Haut. Machen uns vertraut mit Dingen, die uns vorher fremd waren. Machen uns Fremde zu Vertrauten. Machen neue Erfahrungen und nehmen sie abends mit ins Zelt.
Wir zelten auf dem Grund und Boden von Grundsätzen und Bodenständigkeit. Teilen uns das selbst angebaute Essen mit Menschen, für die Teilhaben Reichtum ist. Reichtum durch Miteinander und das im-Moment-Sein. Moment, denke ich, ich weiß, was ich will. Und der Kopf fängt an zukunftweisende Entscheidungen zu planen und läuft planlos aus dem Moment heraus und gegen die Wand. Die Zukunft ist nicht jetzt, versuchst Du mich zu stoppen und gebietest mir Einhalt. Das Hier und Jetzt gebietet. Und Du weißt nicht was kommt. Weißt nur, Du kannst von hier und vom Jetzt Wissen mitnehmen.
Also mache ich Platz in meinem Rucksack und nehme mit, was ich gelernt habe. Etwas über das Leben und, dass wenig zum Leben reicht. Reicht mir das aus, frage ich mich. Frage, wie das so geht mit den Alternativen merke, es geht um Prioritäten. Mach eine Liste von meinen und merke, ich stoße an meine Grenzen. Grenze mich ab und finde mich engstirnig. Ich gehe in den Fluss, um die Stirn zu kühlen und den Tag abzuwaschen und wasche mich rein von meinen Sünden und finde mich zu kompliziert.
Nachts spüren wir den kalten Bergwind auf dem Gesicht und warten mit den Sternen am Nachthimmel des Bergpanoramas auf die Sonnenstrahlen, die uns durch die Hitze des Tages begleiten. In Begleitung von Situationen, die herausfordern, versuche ich mich nicht so anzustellen und stelle mich vor das Gänsegehege, um tief einzuatmen und das Gatter zu öffnen. Begleitest Du mich, frage ich. Angst ist doch ein sinnloser Begleiter, denke ich, während mich die Gänse mit ihren Blicken verfolgen.
Mit suchenden Blicken verfolge ich die Käfer auf dem Kartoffelfeld, um sie einzusammeln. Sammel vorher meinen Ekel und packe ihn in den Eimer neben die Kakerlaken in der Küche. Der ist gefüllt mit Überwindungen und der Erkenntnis, dass das alles gar nicht so schlimm ist, wie man immer denkt und denke, Stadtkind, und muss über mich selber schmunzeln.
Und trotzdem such ich die Trockentoilette nach Spinnen und Schlangen ab, bevor ich in das kleine Holzhaus mit Blick auf die Drôme gehe. Hauptsache Idylle, wenn man der Erde das zurückgibt, was sie einem gegeben hat und gebe mich damit zufrieden, das alles ein Kreislauf ist. König der Löwen, denke ich und uns wird erklärt, wie man den Kompost für die Pflanzen nutzen kann.
Ich pflanze Melisse und Sonnenblumen in die Erde und in meinen Gedanken ist der Wunsch nach einem eigenen Garten gepflanzt. Ein Garten, der uns ernährt und in der Zukunft. Einer, bei dem ich weiß, was ich esse und die Qualität. Einer bei dem die Frage nach Plastik und Pestiziden überflüssig wird.
Und während ich Saat einsetze und Unkraut jähte, sammelt sich der Dreck unter meinen Fingernägeln und ich habe das Gefühl, was ich tue macht Sinn und ich sammel die Empfindung und schließe sie ein. Enthusiastisch sinnierend über meine sinnstiftenden Tätigkeit, merke ich, dass ich eigentlich gar nichts über Pflanzen weiß und bin enttäuscht über die Sinnlosigkeit des Systems, das uns nur Dinge beibringt, die man eigentlich nicht braucht.
Alles, was man hier lernt, braucht man auch. Hier. Das ist gegen das System. Oder zumindest nicht dafür. Und so bin ich. Und ich denke an die Kinder und den Nutzen, den sie aus diesem Projekt ziehen werden. Fürs Leben. So wie ich. Und ich nehme meinen Optimismus bei der Hand und weiß, ich will Teil des Kreislaufs sein. Und ich nehme meine Hand und will so viel geben, wie ich kann. Denn nur, wenn Du gibst, kommt auch etwas zurück. Auch das ist Permakultur. Es geht um das Zusammenspiel von Pflanzen, Mensch und Umwelt und auch die Menschen miteinander und um das Zusammen. Und es geht um Alternativen. Alternativen zum bestehenden System und zum Kapitalismus und zum Konsum. Es geht darum, mit dem auszukommen, was die Natur Dir gibt und die Region und um Unterstützung.
Ich will unterstützen. Den Kreislauf und die Natur. Will Teil sein. Ich will die Sonne und den Regen auf meiner Haut und den Wind in meinen Haaren spüren. Ich will fühlen, wie mein Körper müde ist und mein Geist wach. Ich will berühren. Mit den Fingern das saftige Gras. Will zwischen ihnen trockene Erde zerreiben und mit meinen Händen Deine und Dich.
Du, wie Du auf dem Rasen sitzt und den Hund und auf dem Schoß und vom hellen Mondlicht beschienen und die sternenklare Nacht. Das weiße Leinenhemd setzt sich vom dunklen Himmel ab, während im Hintergrund portugiesische Rhythmen spielen und Gesang und ich denke, das ist richtig und ich denke, hier und jetzt.
Der kleine Markt, auf dem wir den Abend verbringen, leuchtet in meinen Gedanken in bunten Farben und freundlichen Gesichtern. Man kennt sich und man grüßt und es riecht nach frisch gebackenen Crêpes und wir trinken dunkles Bier und ich lege mich auf den Rücken und schaue in die Sterne und fühle die Weite der Welt und den erkaltenden Boden und die Erde, die sich langsam schlafen legt.
Und Du, wie Du auf dem Felsen sitzt neben dem kleinen Wasserfall und die Füße im Wasser und das Rauschen des Flusses. Die Sonne verschwindet langsam hinter dem grün bewachsenen Berg, taucht uns in den Schatten und die Grillen singen. Und wir lesen unsere Bücher und ich bin froh, dass wir unsere kleine Welt für einen Moment verlassen haben und denke, das ist richtig und denke hier und jetzt.
Und Du, wie Du mit mir Matratzen tauscht, weil meine Mitten in der Nacht Luft verliert und ich so friere auf dem Boden. Du liegst auf dem Bauch und Dein Gesicht mir zugewandt und ich denke, ich mag, dass Du Dich nicht rasierst und ich mag die kleinen Fältchen um Deine Augen und ich mag, wie sich Deine Hand auf meinem Rücken anfühlt. Und ich denke, das ist richtig und ich denke, hier und jetzt. Und ich denke, wo auch immer das hinführt und wo auch immer das endet. Ein Anfang ist gemacht.
Der Anfang ist vielleicht ein Kompromiss. Kann ich mich kompromisslos mit dem Leben auf dem Land geschlagen geben? Dort, wo man sich aus dem Kopf schlagen muss, dass der Bus alle zehn Minuten fährt. Deshalb fahren wir bei Fremden mit, die uns ein Stück auf unserem Weg durch die Fremde begleiten. Daumen raus und los. Los in die kleine Stadt mit ihren alten Steingassen. Laufen durch verwinkelte Straßen und rein in das Leben, leben für Augenblicke, ein Stück von dem, was wir hinter uns gelassen haben. Lassen für ein paar Momente von der Arbeit ab und lassen uns treiben. Treiben auf Weinwellen durch die wenigen Bars und Restaurants. Aber treibt es uns wirklich hierher zurück?
Ich mache den Rucksack nochmal auf. Denn da muss noch etwas rein. Etwas, dass ich dringend aufbewahren muss. Ich bastel ein kleines Schild und schreibe Diois drauf und packe es in meine Schublade und vergrabe den Schlüssel in den Fasern meines Herzens. Und ich weiß jetzt, dass alles geht, wenn man es nur will. So richtig will. Und, wenn man weiß, was einem wichtig ist. Und, dass nichts für immer ist. Denn wichtig ist etwas nur im Hier und im Jetzt und was man will und was man braucht. Und die Entscheidungen. Die sind für den Moment und nicht für das Für-immer. Sie sind nur eine Stufe oder ein Stein auf dem Pfad, den wir entlangwandern. Gesäumt von Fragen für den Moment.